Meiner Mandantin wurde in einem Strafverfahren vorgeworfen, Geld veruntreut zu haben. Sie erklärte mir, dass sie selbstverständlich für Handlungen, die sie begangen hat, einsteht. Aber sie wies auch darauf hin, dass der Vorwurf überwiegend nicht zutrifft.
Die Geschichte, die sie mir dann erzählte, war ziemlich schräg …
Das Arbeitsverhältnis
Sie war als Rechtsanwaltsfachangestellte bei einem Kollegen tätig. Darüber hinaus hatte sie einen Minijob bei einem Verein. Dessen Vorsitzender war ebenfalls der Kollege. Ihre Arbeitsaufgabe für beide Arbeitgeber betraf u.a. die Buchführung. Diese wurde in den Kanzleiräumen erledigt.
Keine Einweisung in Arbeitsaufgaben
Meine Mandantin brachte für diese Tätigkeit keine Vorkenntnisse mit. Auch eine Einweisung in die Arbeitsaufgaben erfolgte nicht. Ihr wurde nur erklärt, dass in der Vereinskasse immer Bargeld vorhanden sein muss. Damit sollten die erforderlichen Ausgaben des Vereins getätigt werden.
Zugang zur Kasse und der Kreditkarte für das Vereinskonto nebst Pin hatte jeder. Ein Kassenbuch wurde nicht geführt. Es gab auch keine anderen Kontrollmechanismen …
Umgang mit Vereinsgeldern
Nach der Schilderung meiner Mandantin war der Umgang mit Vereinsmitteln ziemlich ungewöhnlich: In der Kasse befanden sich mehrfach Zettel, auf denen der Vereinsvorsitzende/Rechtsanwalt eine Bargeldentnahme notiert hatte.
Die Mandantin hob daraufhin Geld für die Kasse ab. Sie sollte ja dafür sorgen, dass immer Geld in der Kasse war. Ihr erschienen die Entnahmen aus der Kasse zwar merkwürdig, aber sie beriet sich mit einer Kollegin in der Kanzlei. Beide kamen zu dem Ergebnis: Sie sind nicht berechtigt, ihren Arbeitgeber daran zu erinnern, das entnommene Geld wieder in die Kasse zurück zu legen. Sie nahmen an, er würde es von sich aus tun und haben es nicht kontrolliert.
Während ihrer Tätigkeit bat die Mandantin ihren Arbeitgeber um einen Kredit, der ihr auch gewährt wurde. Die Auszahlung erfolgte über das Vereinskonto, für die Rückzahlung wurde das private Konto des Anwalts angegeben. Auf dieses hatte meine Mandantin die Raten auch überwiesen …
Der Mandantin war selbstverständlich bekannt, dass sie das Vereinskonto nicht für private Ausgaben verwenden darf. Aber der sehr unkonventionelle Umgang des Rechtsanwalts mit Vereinsmitteln war verführerisch. Also nutzte sie für einige private Überweisungen das Vereinskonto. Sie notierte sich die Beträge, um sie später zurück zu zahlen. Getreu dem Vorbild heftete sie einige dieser Notizen auch im Kontenordner ab.
Reaktion der Arbeitgeber
Irgendwann fiel dem Schatzmeister des Vereins auf, dass auf dem Konto mehrere tausend Euro fehlten. Der größte Teil beruhte auf Barabhebungen. Es kam zu einem Gespräch zwischen dem Vereinsvorsitzenden/Rechtsanwalt, dem Kassenwart und meiner Mandantin. Sie bestätigte, einige Überweisungen vom Vereinskonto für private Zwecke vorgenommen zu haben. Aber sie bestritt u.a., Geld von Barhebungen privat verwendet zu haben.
Das Arbeitsverhältnis mit dem Verein wurde durch fristlose Kündigung seitens des Arbeitgebers beendet. Der Rechtsanwalt baute ihr aber eine merkwürdige „Eselsbrücke“: Er stellte nicht nur eine Weiterbeschäftigung für die Kanzlei in Aussicht. Sondern er erklärte auch, dass er bereit ist, die Hälfte des Fehlbetrages auszugleichen. Meine Mandantin lehnte das Angebot ab und kündigte. Der Verein erstattete schließlich Anzeige.
Die Ermittlungsakte
Die Ermittlungsakte war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich:
Es fehlten einige Belege zu Ausgaben des Vereins. Auch der Kontoauszug für die Barabhebung des meiner Mandantin gewährten Kredits war nicht vorhanden.
Die Beweissituation war zu diesem Zeitpunkt nicht rosig: Es war unklar, ob der Schatzmeister den Inhalt des „sechs Augen“ – Gespräches (das einige Rückschlüsse ermöglichte) und die andere Kanzleimitarbeiterin die Zettel in der Kasse (die Entnahmen durch den Anwalt belegten), bestätigen. Das war jedoch unsere einzige Chance.
Also stellte ich die Situation in einer Verteidigungsschrift dar und regte Nachermittlungen an. Die Staatsanwaltschaft folgte der Anregung.
Weitere Ermittlungen im Strafverfahren
Im Ergebnis der weiteren Ermittlungen wurden die Angaben meiner Mandantin bestätigt. Ich regte daher die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Barabhebungen und einiger weiterer Postionen an. Diese waren ebenfalls aufschlussreich in Bezug auf den Umgang mit Vereinsgeldern. Sie konnten meiner Mandantin nicht angelastet werden. Dass ein geringer Teil des Tatvorwurfes (bezüglich der Überweisungen mit privatem Hintergrund) bestehen bleibt, war klar.
Ich führte ein informatorisches Gespräch mit der sachbearbeitenden Staatsanwältin. Sie bestätigte, dass viele Indizien für die Angaben meiner Mandantin sprechen. Aber sie erklärte auch, dass in vollem Umfang Anklage erhoben wird. Eine Einstellung zu den Positionen Barabhebung (u.a.) komme nicht in Betracht. Denn mit der Einstellung ist gleichzeitig ein Verdacht gegen einen Rechtsanwalt verbunden und bei diesem handelt es sich um ein Organ der Rechtspflege. Letzteres ist richtig, aber ist er deshalb in jedem Fall über jeden Zweifel erhaben?
Das Gerichtsverfahren
Ich war also auf die Hauptverhandlung in diesem Strafverfahren gespannt, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass der vorsitzende Richter bei dieser Konstellation anders entscheiden würde. Er hat jedoch die Anklage nicht in vollem Umfang zugelassen und hinsichtlich der meisten Positionen (Barabhebung u.a.) die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (§ 207 Abs. 2 Ziff. 1 StPO).
Für die Überweisungen mit privatem Hintergrund musste sich meine Mandantin verantworten, wobei die Gesamtsituation in der Kanzlei ebenso berücksichtigt wurde, wie die Tatsache, dass sie zu diesem Punkt von Anfang an geständig war und die Beträge bereits zurück gezahlt hatte.
Die Strafe entsprach dem, was wir ursprünglich einmal als „best case“ besprochen hatten. Aber einige Fragen, die sich in diesem Strafverfahren aufdrängen und die nicht meine Mandantin betreffen, blieben offen …