Abmahnkanzleien zitieren das BGH–Urteil „Everytime we touch“ (I ZR 48/15) seit dessen Veröffentlichung gern. Aber sind die Ausführungen in diesem Urteil ohne weiteres auf andere Filesharing-Verfahren übertragbar? Meines Erachtens sind sie das nicht.
Zunächst fällt auf, dass dieses Urteil zwar einen Leitsatz enthält, dieser sich jedoch nur auf die Verjährung des Schadensersatzes bezieht. Schon das spricht dafür, dass der BGH die von ihm in diesem Verfahren weiter behandelten Rechtsfragen – im Gegensatz zur Verjährung – nicht für ohne weiteres auf andere Filesharing-Verfahren übertragbar hält.
Sekundäre Darlegungslast
Ein bei Abmahnkanzleien beliebtes Zitat betrifft die nachfolgenden Ausführungen des BGH:
„In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber allerdings im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Rechtsverletzung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss wird den an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast zu stellenden Anforderungen daher nicht gerecht.“
Damit geht der BGH im Urteil „Everytime we touch“ erstmals davon aus, dass der Anschlussinhaber mitteilen muss, welche Kenntnisse er über die Umstände einer eventuellen Rechtsverletzung gewonnen hat.
Dieses Zitat muss aber im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Sachverhalt gewürdigt werden. Und dieser hat Besonderheiten, die nicht auf anderen Verfahren übertragbar sind. Der Vortrag des Beklagten war nicht nur unplausibel, sondern absolut unzureichend.
Täterschaftsvermutung
Ein weiteres bei Abmahnkanzleien beliebtes Urteilszitat:
„Entgegen der Auffassung der Revision kommt ein Eingreifen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers auch dann in Betracht, wenn der Internetanschluss – wie bei einem Familienanschluss – regelmäßig von mehreren Personen genutzt wird. Für die Frage, wer als Täter eines urheberrechtsverletzenden Downloadangebots haftet, kommt es nicht auf die Zugriffsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern auf die Situation im Verletzungszeitpunkt an.“
Der BGH führt weiter aus:
„Der Inhaber eines Internetanschlusses wird der ihn treffenden sekundären Darlegungslast in Bezug darauf, ob andere Personen als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen, erst gerecht, wenn er nachvollziehbar vorträgt, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.“
Zwar bleibt (leider) offen, wie konkret diese Angaben sein müssen. Auch die Ausführungen zur Täterschaftsvermutung sind verwirrend (im BGH-Urteil „BearShare“ klang das anders). Dass der BGH hier eine täterschaftliche Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers annimmt, ist aber nachvollziehbar, wenn man das gesamte Urteil liest. Allerdings wäre es in Hinblick auf die „BearShare“-Entscheidung vielleicht eleganter gewesen, erst über den „Umweg“ der fehlenden Möglichkeit der Tatbegehung durch Familienangehörigen zur täterschaftlichen Verantwortlichkeit zu kommen.
Der BGH macht auch deutlich, dass der Anschlussinhaber eine Chance hat, seiner sekundären Darlegungslast gerecht zu werden, wenn er detailliert vorträgt. Und letzteres ist in diesem Verfahren nicht erfolgt.
Der streitgegenständliche Sachverhalt
Diesem Verfahren liegt ein Sachverhalt zugrunde, der mittlerweile eher selten ist: Es gab nur einen internetfähigen Computer. Alle Familienangehörigen nutzen diesen PC. Es gab auch keine verschiedenen Nutzerkonten. Schon aus diesem Grund lassen sich die Ausführungen des BGH in diesem Urteil nicht 1:1 auf Sachverhalte übertragen, bei denen jedes Familienmitglied einen eigenen Computer nutzt.
Die Ehefrau kam nicht als Verletzerin in Betracht. Die Internetnutzung der Kinder war auf jeweils eine halbe Stunde pro Tag begrenzt. Die Ehefrau des Beklagten hatte die Kinder bei der Internetnutzung regelmäßig im Blick. Sie hat auch im Vorbeigehen immer mal wieder nachgeschaut, was die Kinder gerade am Rechner machen. Das hat sie sich auch manchmal erklären lassen.
Der BGH kommt im Urteil „Everytime we touch“ zu dem Ergebnis, dass die Kinder keinen derart selbständigen Zugang zum Internetanschluss des Beklagten hatten, dass sie ernsthaft als Alleintäter in Frage kommen.
Zwar finde ich die Schlussfolgerung, dass die Kinder als Täter nicht in Betracht kommen, zunächst nicht überzeugend. Sie waren immerhin 15 und 17 Jahre alt. Nicht selten haben Jugendliche in diesem Alter bessere Computerkenntnisse, als ihre Eltern. Und so weit ich weiß, kann ein Tauschbörsenprogramm auch im Hintergrund laufen.
Daher ist es möglich, dass die Kinder ihrer Mutter zwar das erklärt haben, was auf dem Bildschirm zu sehen war, nicht jedoch das, was möglicherweise im Hintergrund lief. Dazu kommt, dass die Mutter nach den Feststellungen der Vorinstanz keine Kenntnis von Tauschbörsenprogrammen hatte. Aber das wurde im Verfahren von den Beklagten offenbar nicht ausreichend vorgetragen.
Unzureichender Sachvortrag
Der BGH stellt im Urteil „Everytime we touch“ auch fest:
„[50] (1) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe keine nachvollziehbare Erklärung dazu abgegeben, wie es seinen Kindern überhaupt hätte gelingen können, von ihm und seiner Ehefrau unbemerkt Filesharing zu betreiben. Er habe keine Angaben zu seiner eigenen Internetnutzung gemacht. Er habe weder vorgetragen, dass auf dem Rechner keine Filesharing-Software installiert gewesen sei, noch dargelegt, dass die streitgegenständlichen Dateien auf dem Rechner nicht vorhanden gewesen seien, obgleich er nach Erhalt der Abmahnung angekündigt habe, die Sache zu prüfen.“
Und hier liegt meines Erachtens „des Pudels Kern“. In diesem Verfahren fehlen wichtige Angaben zum eigenen Nutzungsverhalten des Anschlussinhabers und zum (Nicht?)-Vorhandensein von Filesharing-Software. Die Verletzungshandlungen betrafen 809 Musiktitel. Der Anschluss des Beklagten wurde – noch zu Zeiten staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren – mehrfach ermittelt. Damit kann man davon ausgehen, dass der streitgegenständliche Rechner für die Rechtsverletzungen genutzt wurde und Filesharing-Software vorhanden war. Auch die nicht gerade kleine Musiksammlung sollte einem Nutzer des Computers normalerweise auffallen.
Ich kenne mehrere Sachverhalte, bei denen die Eltern nur sehr geringe Computerkenntnisse haben. Ihnen würde auch bei einem gemeinsam genutzten Computer weder Filesharing-Software, noch eine Musiksammlung auffallen. Und bei einer späteren Überprüfung des Computers (nach Eingang der Abmahnung) steht immer die Frage im Raum, ob nicht der Verantwortliche die entsprechenden Dateien zwischenzeitlich gelöscht hat.
Aber ein vergleichbarer Vortrag ist in diesem Verfahren offensichtlich nicht erfolgt. Der Beklagte hat weder zu seinen eigenen Computerkenntnissen, noch zu seinem Nutzungsverhalten vorgetragen, sondern nur, dass er zu einigen der ermittelten Zeiten nicht zu Hause war.
Dass dem BGH dieser Vortrag im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht genügt, ist nachvollziehbar.
10 Jahre Verjährung für Lizenzschaden
Die Verjährung der Schadensersatzansprüche in Filesharing-Angelegenheiten war lange streitig. Überwiegend gingen die Gerichte von einer dreijährigen Verjährungsfrist aus.
Der BGH stellt nun klar, dass der Anspruch auf Zahlung eines Lizenzschadens erst nach 10 Jahren verjährt.
Das betrifft jedoch nur den Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie, nicht die Anwaltskosten für die Abmahnung. Für Letztere gilt die dreijährige Verjährungsfrist.
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