In einem durch meine Kanzlei erstrittenen Filesharing Urteil nimmt das AG Memmingen u.a. zur sog. tatsächlichen täterschaftlichen Vermutung bei einem Ehepaar als Anschlussinhaber Stellung.
Meine Mandanten sind beide Inhaber des streitgegenständlichen Internet-Anschlusses. Sie erhielten Ende März 2013 eine Abmahnung der Kanzlei Schulenberg & Schenk im Auftrag der MIG Film GmbH. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten am 06.01.13 den Film „Die verrückten Wikinger“ unerlaubt zum Download angeboten. Der Abmahnung lag eine Gebührenberechnung auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von € 20.000,– zugrunde. Neben der Abgabe einer Unterlassungserklärung wurde die Zahlung eines Pauschalbetrages gefordert. Meine Mandanten haben eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben, jedoch keine Zahlung geleistet.
Die Klage enthielt dagegen eine Gebührenforderung auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von € 10.000,–. Darüber hinaus forderte die Kanzlei Schulenberg & Schenk Schadensersatz in Höhe von 400 €.
Kinder hatten Zugang zum Internet
Zum Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzung befanden sich meine Mandanten in der Kirche und ihre Computer waren ausgeschaltet. Zugang zum Internet hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Kinder. Diese wurden in jüngeren Jahren und auch später von den Eltern belehrt, dass sie bei Nutzung des Internets keinerlei Rechtsverletzungen begehen und insbesondere keine unerlaubten Downloads vornehmen dürfen.
Die Abmahnung ist fast zwei Monate nach der behaupteten Rechtsverletzung bei meinen Mandanten eingegangen. Ein Router-Protokoll stand für den relevanten Zeitraum nicht mehr zur Verfügung. Und auch eine Kontrolle der innerhalb der Familie genutzten internetfähigen Endgeräte führte nicht zu einem Ergebnis.
Filesharing-Urteil des AG Memmingen, Az.: 12C 1244/15:
„Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Klägerin gegen die jeweiligen Beklagten kein Schadenersatzanspruch zusteht.
a) Es ist im Ansatz grundsätzlich zutreffend, dass bei der Verletzung des Verwertungsrechtes als Ausschnitt des Urheberrechtes ein Schadenersatzanspruch nach § 97 UrhG besteht. Dabei ist grundsätzlich die jeweilige Klagepartei als Antragstellerin für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm darlegungs- und beweispflichtig.
Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Beklagten, nachdem die Klägerin eine konkrete Verletzungshandlung nicht behaupten kann, ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast nachgekommen sind, wofür angesichts der Schwierigkeiten auf Grund des langen Zeitablaufs einiges spricht, weil jedenfalls auch bei einer Verneinung der Erfüllung der sekundären Darlegungslast ein Anspruch nicht gegeben ist.
lm konkreten Fall kann die Klägerin nicht behaupten (und beweisen) wer von den beiden Beklagten tatbestandlich die Rechtsverletzung begangen hat, so dass eine konkrete Verletzungshandlung durch den Beklagten zu 1) oder durch die Beklagte zu 2) nicht nachgewiesen ist.
b) Nach dem vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsatz ist bei derartigen Verstößen eine tatsächliche Vermutung dafür gegeben, dass der jeweilige Anschlussinhaber für die Rechtsverletzung verantwortlich ist (BGH, Urteil vom 12.05.2010, Rdnr. 12). Dabei ist zu beachten, dass – soweit das Gericht das technisch beurteilen kann – ein Download nur möglich ist, wenn der Computer „arbeitet“ und das Tauschprogramm (hier BitTorrent) aktiv ist.
Die vom Bundesgerichtshof aufgestellte tatsächliche Vermutung hilft hier deshalb nicht weiter, weil die Beklagten beide als Anschlussinhaber registriert sind. Tatsächliche Vermutungen spiegeln die – tragfähige – allgemeine Lebenserfahrung wieder. Sie helfen hier allerdings nicht weiter, weil es keine tragfähige allgemeine Lebenserfahrung dahin gibt, dass mehrere Anschlussinhaber den Computer bzw. das Tauschprogramm gleichzeitig bedienen. Die Lebenserfahrung ist tatsächlich genau umgekehrt. Es ist davon auszugehen, dass ein Computer jeweils von einer Person „aktiv“ bedient wird. Die tatsächliche Vermutung, dass der Anschlussinhaber zu 1) oder zu 2) aktiv an dem Computerprogramm beteiligt war, besteht daher nicht.
c) Eine Haftung ergibt sich auch nicht unter dem weiteren Gesichtspunkt des § 830 Abs. 1 Satz l BGB, weil eine gemeinschaftliche unerlaubte Handlung gerade nicht vorliegt.
Auch § 830 Abs. 2 BGB ergibt einen solchen Anspruch nicht, weil offen ist, wer von den beiden Beklagten eine unerlaubte Handlung begangen hat, an der der jeweils Andere beteiligt sein könnte.
§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kann im vorliegenden Fall ebenfalls nicht herangezogen werden, weil nach dieser Norm lediglich Kausalitätszweifel überwunden werden können. Die tatbestandlichen Verletzungshandlungen (bis auf die Kausalität) müssen aber jeweils feststehen. Daran mangelt es im vorliegenden Fall aber gerade.
Der weitere Gesichtspunkt, dass die Beklagten gemeinschaftlich den Internetanschluss angemeldet haben und unterhalten, rechtfertigt keine gemeinschaftliche Verurteilung im Fall einer widerrechtlichen Nutzung eines Anschlusses.
Die Klägerin kann daher im Ergebnis keinen Schadenersatz von den Beklagten beanspruchen. Auf die weiteren Fragen der Schadensberechnung, die insbesondere durch das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart – Bad Canstatt – vom 13.08.2015 aufgeworfen wurden, kommt es daher nicht mehr an.
2. Die Beklagten sind auch nicht verpflichtet, die von der Klägerin an deren Anwaltskanzlei zu erstattenden Anwaltsgebühren zu zahlen.
Die Beklagten sind nach den Ausführungen unter Zifier 1. nicht als Täter einer unerlaubten
Handlung festgestellt.Sie haften auch nicht als Inhaber des Internetanschlusses als Störer, wegen einer von den Söhnen begangenen Urheberrechtsverletzung. Deshalb war die Abmahnung nicht berechtigt und die Beklagten sind daher nicht zum Ersatz dieser durch die Abmahnung entstandenen Anwaltskosten verpflichtet.“
Für eine Störerhaftung fehlt es an einem Beitrag zur Rechtsverletzung. Ein aktiver Beitrag kann von der Klägerin nicht dargelegt und bewiesen werden. Ein Beitrag durch Unterlassen wäre nur dann anzunehmen, wenn eine besondere Prüfungs- oder Überwachungspflicht seitens der Beklagten im Hinblick auf ihre Kinder vorliegen würde und diese verletzt wäre.
Da hier im Verfahren nicht vorgetragen ist, dass im Zusammenhang mit den Kindern es bereits in früherer Zeit zu ähnlichen Urheberrechtsverletzungen gekommen ist, sind die Voraussetzungen einer gesteigerten Überwachungspflicht nicht dargetan. Die Beklagten waren daher nicht zu einer ständigen Kontrolle und Überwachung ihrer Kinder verpflichtet.“
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Update:
In zweiter Instanz wurde ein Vergleich geschlossen.
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