Eigentlich ist die Klagerücknahme schade. Mein Mandant war bereit, den Instanzenweg zu beschreiten und es hätten evtl. einige Fragen einer höchstrichterlichen Klärung zugeführt werden können. Diese betrafen die WG-Problematik, die Relevanz von Router-Sicherheitslücken, sowie die Problematik einer unberechtigten Abmahnung wegen isolierter Geltendmachung der Abmahnkosten.
Andererseits zeigt gerade dieses Verfahren, dass der Ausgang eines Filesharing-Verfahrens nach wie vor nicht vorhersehbar ist.
Denn zwei Verfahren mit teilweise vergleichbaren Sachverhalten betrafen das gleiche Amtsgericht. Beide Anschlussinhaber befanden sich nachweisbar zur behaupteten Tatzeit ebenso wenig in der Wohnung/Unterkunft, wie ihre Computer. Und beide nutzten einen Router mit Sicherheitslücken.
- Der Anschluss in dem einen Verfahren gehörte zu einem Singlehaushalt. Und es befand sich auch kein internetfähiges Endgerät in der Wohnung.
- Dagegen wurde der andere Anschluss von mehreren Stubenkameraden des Anschlussinhabers, eines Bundeswehrangehörigen, ebenfalls genutzt.
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Filesharing – sekundäre Darlegungslast
Der zweite Sachverhalt erschien mir einfacher. Ich hatte mich geirrt. Es blieb nicht bei diesem einen Irrtum.
Kein internetfähiges Endgerät
Filesharing ohne internetfähiges Endgerät ist nicht möglich. Durch die Sicherheitslücke des Routers war ein abweichender Geschehensablauf. d.h. ein Hacker-Angriff in dem ersten Verfahren daher wahrscheinlich.
Nach der BGH-Rechtsprechung („Sommer unseres Lebens“) gilt jedoch für einen Single-Haushalt der sog. „Anscheinsbeweis“. D.h. es gilt die tatsächliche Vermutung, dass der Anschlussinhaber auch Täter der Rechtsverletzung ist.
Eine Sicherheitslücke des Routers wird im Landgerichtsbezirk München I oft als nicht relevant angesehen. Aber das ist m.E. lebensfremd. Und es wird der tatsächlichen Situation nicht gerecht.
Ich bin also zunächst davon ausgegangen, dass es in diesem (ersten) Verfahren einen harten Kampf geben wird.
Aber ich habe mich geirrt. Die Entscheidung der Richterin entsprach der Lebenswirklichkeit. Und die Klageabweisung erfolgte nach dem ersten Verhandlungstermin („Filesharing Klage Negele RAe von AG Augsburg abgewiesen“).
Wohngemeinschaft
Zwar kann man die Wohnsituation von Bundeswehrangehörigen nicht als Wohngemeinschaft bezeichnen. Aber die juristische Einschätzung bei Filesharing-Sachverhalten ist vergleichbar.
Bei dem zweiten Sachverhalt war die Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufes offensichtlich. Denn es gab zwei Möglichkeiten:
- Einen Hacker-Angriff oder
- die Tatbegehung durch einen Stubenkameraden des Anschlussinhabers.
Wenn sich weder der Anschlussinhaber, noch sein Computer in Reichweite des Netzes befinden, scheidet eine eigenhändige Begehung der Rechtsverletzung, d.h. eine Täterschaft aus. Der sog. „Anscheinsbeweis“ gilt nicht, wenn andere Personen Zugriff auf das Netzwerk hatten.
Es ging daher um die sog. „Störerhaftung“. Dabei geht es um die Frage, welche Pflichten der Anschlussinhaber hat, um mögliche Rechtsverletzungen durch Mitnutzer zu verhindern. Hier musste berücksichtigt werden, dass mein Mandant seine Stubenkameraden nachweisbar belehrt hatte, dass über den Anschluss keine Rechtverletzungen, insbesondere keine illegalen Filesharing-Aktivitäten begangen werden dürfen.
Seine Stubenkameraden hatten sogar eidesstattlich versichert, dass die Belehrung erfolgt war. Ich hatte daher damit gerechnet, dass die WG-Problematik das Hauptthema bei der Verhandlung sein würde. Denn dazu gab es schon einige erstinstanzliche klageabweisende Entscheidungen.
Unterlassungsanspruch nicht verfolgt
Darüber hinaus hatte mein Mandant die in der Abmahnung geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben. Die Klägerseite hatte dies auch nicht weiter verfolgt. Sie hatte ausschließlich die Abmahnkosten und Schadensersatz geltend gemacht. Nach meiner Auffassung ist eine Abmahnung aber bei isolierter Geltendmachung der Abmahnkosten unberechtigt.
Mir erschien also der zweite Sachverhalt einfacher. Ich habe mich geirrt.
Das zweite Verfahren
Der Klägervertreter der Kanzlei CSR hatte noch vor dem ersten Verhandlungstermin ein Vergleichsangebot unterbreitet. Daraus ergaben sich Rückschlüsse auf seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten des Rechtsstreits. Er glaubte nicht an den Erfolg. Außerdem hatte er sich auch nicht die „Mühe gemacht“, fundiert auf die Klageerwiderung zu reagieren. Offenbar ging auch er von einer Klageabweisung aus.
Nachdem in der ersten Sache (Single-Haushalt) Klageabweisung erfolgte, bin ich davon ausgegangen, dass es in dieser Sache (Mitnutzung durch Stubenkameraden) gar keine andere Entscheidung geben kann. Daher sah ich der Hauptverhandlung relativ gelassen entgegen. Ich habe mich jedoch geirrt.
Beweissituation in Filesharing-Verfahren
Wie nicht selten in Filesharing-Verfahren im Landgerichtsbezirk München I, riet der Richter meinem Mandanten bei Verhandlungsbeginn nachdrücklich zu einem Vergleich. Und er stellte die Anforderung eines Gutachtens in Aussicht. Dessen Kosten (ca. 5.000,–) können dem Beklagten selbst im Fall des Obsiegens auferlegt weden.
Das war eine übliche Praxis, um die Vergleichsbereitschaft der Partei zu fördern, die nicht vergleichsbereit ist. Das waren wir.
Zunächst muss die Klagepartei beweisen, dass überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt. Die Klägerseite bietet zum Beweis der Richtigkeit der Datenermittlung meist Zeugen der Anti-Piracy-Firma an. Außerdem bieten Abmahnkanzleien meistens Beweis durch Sachverständigengutachten an.
Aber die Beklagtenseite hat keinen Einblick in die Tätigkeit der Anti-Piracy-Firmen. Denn die in einem Filesharing-Verfahren bekannt gegebenen Daten zur behaupteten Rechtsverletzung beschränken sich üblicherweise auf den Hashwert, die Zeit und die IP-Adresse. Oft liegen aber weitere Daten vor, die die Abmahnkanzleien nicht angeben.
Die Beklagtenseite hat daher nur zwei Möglichkeiten:
- die Richtigkeit der Datenermittlung zu bestreiten oder
- die Richtigkeit anzuerkennen.
Wenn die Beklagtenseite bestreitet, dass die Datenermittlung korrekt war, aber ein Gutachten das Gegenteil nachweist, können ihr die Kosten auch auferlegt werden, wenn die Klage abgewiesen wird. Daher ist das Bestreiten oft nicht sinnvoll.
Meines Erachtens verkennen Gerichte das ganz offensichtlich bestehende Kräfteungleichgewicht zwischen den Parteien nicht selten.
Obwohl die Klägerseite ein Gutachten vorgelegt hatte, das Auffälligkeiten aufwies (Gutachten BitTorrent IP-Logger V2.0), wies ich daher in der Verhandlung darauf hin, dass die Frage, ob die Datenermittlung ordnungsgemäß erfolgt ist, zunächst vernachlässigt werden kann. Denn dieses Beweisthema würden wir eventuell unstreitig stellen.
Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers in Filesharing-Verfahren
Das Gericht hatte darauf hin das Problem des „Anscheinsbeweises“, d.h. der Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers, thematisiert. Nach meiner Auffassung hatten wir diese Vermutung jedoch bereits entkräftet. Denn mit der Klageerwiderung hatten wir eine Bescheinigung der Bundeswehr vorgelegt, aus der sich ergab, dass mein Mandant mehrere Monate abkommandiert war. Er befand sich einige Monate vor und einige Monate nach der behaupteten Rechtsverletzung ca. 500 km von dem Anschluss entfernt. Und er hatte seinen Computer wegen der längeren Abwesenheit mitgenommen.
Ich war also relativ überrascht, als uns der Richter erklärte, dass der „Anscheinsbeweis“ keineswegs entkräftet ist. Darüber hinaus war er der Auffassung, dass wir außerdem unserer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen waren.
Jetzt war ich nicht mehr überrascht, sondern sprachlos.
Nachdem ich meine Sprachlosigkeit überwunden hatte, stellte ich die Frage, wie jemand, der sich nicht in Reichweite des Netzwerkes befindet und dort auch keinen Computer hat, illegales Filesharing betreiben kann. Diese Frage hat der Richter dahingehend beantwortet, dass mein Mandant möglicherweise zwischendurch zur Kaserne zurück gekehrt sein könnte. Auf die entsprechende Frage des Richters teilte mein Mandant ihm jedoch mit, dass es an dem Standort, zu dem er abkommandiert war, einen Dienstplan gab. Dieser machte die Anwesenheit unter der Woche zwingend erforderlich. Außerdem gab er an, dass er das erforderlichenfalls belegen kann.
Auch das reichte dem Richter nicht. Denn schließlich gibt es ja auch dienstfreie Wochenenden.
Daher suchte ich auf meinem Smartphone im Kalender nach dem Wochentag, an dem die behauptete Rechtsverletzung begangen worden sein soll. Denn das erschien mir bei der Klageerwiderung aufgrund der monatelangen Abwesenheit meines Mandanten unwichtig. Während dessen erklärte mein Mandant, dass er seine freien Wochenden bei seiner Freundin verbracht hat. Und diese wohnte ebenfalls mehrere hundert km entfernt von seinem Anschluss. Der streitgegenständliche Tag fiel auch nicht auf ein Wochenende.
Sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers in Filesharing-Verfahren
Den Anscheinsbeweis hatten wir entkräftet. Daher hat das Gericht nunmehr erneut die sog. „sekundäre Darlegungslast“ thematisiert.
Um das abzukürzen: Die bereits vorliegende eidesstattliche Versicherung, die nicht nur die Belehrung sondern auch die Nutzung des Anschlusses durch mehrere Stubenkameraden bestätigte, reichte dem Gericht nicht. Das Gericht hat uns aufgetragen, die aktuellen Adressen aller Stubenkameraden bekannt zu geben, damit die Klägerseite ggf. entsprechenden Beweisantrag stellen kann.
Der Klägervertreter hatte das jedoch offenbar gar nicht vor. Denn er stellte den Beweisantrag – auch nachdem die Adressen bekannt waren – zunächst nicht. Es bedurfte dazu eines weiteren (nunmehr schriftlichen) gerichtlichen Hinweises.
Nachdem die Klägerseite aufgefordert wurde, einen Kostenvorschuss für die Zeugenvernehmungen zu zahlen und ein neuer Termin anberaumt war, gab es von Seiten des Klägervertreters einen weiteren (mittlerweilen den dritten) außergerichtlichen Vergleichsversuch – Klagerücknahme ohne Kostenantrag, d.h. das Verfahren wäre erledigt, mein Mandant hätte jedoch die Kosten meiner Vertretung zu tragen. Wir haben abgelehnt.
Der Klägervertreter hat daraufhin die Klage wurde zurück genommen. wir haben Kostenantrag gestellt. Die Kosten wurden der Klägerin auferlegt.
D.h. mein Mandant bekommt das an mich gezahlte Honorar zurück.
Fazit:
Hut ab vor meinem Mandanten! Zwar war für ihn erkennbar, dass die Gegenseite ihre Erfolgsaussichten nicht besonders hoch einschätzte, aber es war auch offensichtlich, dass das Gericht die Auffassung beider Parteivertreter nicht teilte.
Wenn beide Parteien die Erfolgsaussichten einer Klage als gering einschätzen und das Gericht anderer Auffassung ist, stimmt etwas mit der Auffassung des Gerichts nicht!
Selbstverständlich ist der Verfahrensausgang positiv zu bewerten. Leider hat das Gericht jedoch wichtigen Themen, zu denen es in Filesharing-Verfahren nur wenige Urteile gibt, keinerlei Bedeutung beigemessen: Neben der WG-Problematik waren hier auch Sicherheitslücken des durch meinen Mandanten verwendeten Routers relevant, wobei nicht nur eine, sondern sogar zwei Sicherheitslücken festgestellt wurden.
Der Abmahnung lag ein Porno zugrunde. Allerdings hat sich die Klägerseite überhaupt nicht dazu geäußert, indwiefern dieser urheberrechtlich geschützt sein könnte. Da dies von uns bestritten wurde, hätte die Klägerseite den Beweis noch vor der Thematisierung des „Anscheinsbeweises“ und der „sekundären Darlegungslast“ erbringen müssen.
Obwohl von uns mehrfach ausgeführt, hat das Gericht sich leider zur Frage der isolierten Geltendmachung der Abmahnkosten überhaupt nicht geäußert – selbst dann nicht, als die Klägerseite eine zweite Abmahnung vorlegte und wir beweisen konnten, dass auch in dieser Sache keine Unterlassungserklärung abgegeben und ausschließlich der behauptete Zahlungsanspruch verfolgt wurde.
Wenn die Klägerseite keinerlei Interesse an der Unterlassung hat, stellt sich jedoch die Frage, warum sie – sogar mehrfach – abgemahnt hat.
Ergänzend: Nach diesem Verfahren hat der BGH in verschiedenen Urteilen einige Grundsatzfragen in Filesharing-Angelegenheiten konkretisiert. Diese haben wir in einem weiteren Blogbeitrag zusammen gefasst >> Filesharing-Urteile des BGH – Loud, Afterlife, BearShare u.a..
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